Versuch über Rossini – Fortsetzung 1

Friedrich Lieder, Rossini (1822)

III

Unser Gespräch brach ab, als Bekannte, die nur so viel von Rossini verstanden, um ihn als Lieferanten für Schenkelklopfen und Stimmakrobatik gelten zu lassen, sich zu uns gesellten. Auch hätte die Konversation weiterzuführen die Überdehnung einer für heitere Abende ersprießlichen Dauer bedeutet. Das Thema selbst aber ließ mich nicht los. Ich beschloss, weiter darüber nachzudenken. Von Grund auf. Bis in meine frühen Jahre. Dem Kind und Jugendlichen bereitete der >Barbier< diebische Freude. Das Ergötzen entzündete sich an des Komponisten Witz, der mir damals von den leicht hingeworfenen musikalischen Pointen der Titelfigur und den schalkhaft-mutwilligen Koloraturen Rosinas über die ironisiert-grimmigen Sottisen Bartolos bis hin zum boshaft-diabolischen Sarkasmus Basilios reichte. Orchester und allererst die Vokalise schienen mir die jeweiligen Situationen und Befindlichkeiten höchst trefflich zu zeichnen. Hinzu kam eine Sprachbehandlung auf Tonträgern und in den damals oft noch deutsch gesungenen Aufführungen, die die Komik von Musik und Handlung vielleicht zuweilen mehr oder minder outriert, immer aber mit großer Textverständlichkeit hervorstrich. Nuancierter zwar, doch im Kern nicht anders, erlebte ich während des Studiums Peter Mussbachs Rezeptionsgeschichte schreibenden Frankfurter >Barbier<. Wenngleich ich längst Produktionen der damaligen Regietheatergrößen kennen gelernt hatte, so wurde mir erst angesichts und anhörens des Mussbach->Barbiers< ganz eigentlich bewusst, wie Musik, Text und Szene einander zu bedingen vermögen. Unvergesslich das zum sich selbst beschleunigenden Drehwurm geratende Crescendo des ersten Finales, ein Malstrom, dessen Sog nicht allein das Bühnenpersonal, sondern zudem das Publikum erfasste. Nicht minder prägte mich der den Bartolo agierende Enzo Dara. Als Arzt selbst pillenabhängig, konsumierte der ebenso auf Rosinas Jugend versessene wie geldgeile Mediziner lustvoll Tabletten als Bonbons. Daras Freude am Wort trug den Journalisten in sich, der er vor seiner Sängerkarriere gewesen war. Zwar wusste ich  schon seit einiger Zeit um die Zweitverwendung nicht allein der Ouvertüre für den >Barbier< . Dennoch kam mir nicht einen Augenblick jene Unverbindlichkeit und Austauschbarkeit des Rossinischen Melos in den Sinn, wie ich sie später beim Hören der >Mosè<-preghiera wahrnahm.

Hier die Bartolo-Arie, gesungen von Enzo Dara in der heute etwas betulich wirkenden Ponelle-Inszenierung der Mailänder Scala. Musikalische Leitung: Claudio Abbado. Rosina: Teresa Berganza)

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