Mehr Licht um hohen Preis

Adolph Wegelin (1810 – 1881). Der Trierer Dom von Süden
Adolph Wegelin (1810 – 1881). Der Trierer Dom von Süden

Barockbaumeister macht sich am Trierer Dom zu schaffen

Ein Raketentreffer aus einem der Kuriengärten legte am 17. August 1717 den Dachstuhl der Kathedrale in Trümmer. Die Bediensteten der Domherren hatten sich feiernd der barocken Lust am Feuerwerk ergeben. Eines der Geschosse war auf die falsche Bahn geraten und sorgte für jenes Fanal, das zu weitaus erheblicheren Eingriffen in die Substanz der Trierer Bischofskirche führte, als nötig gewesen wären, um lediglich deren Dach neu aufzurichten. Doch packte Kurfürst Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg tatkräftig und reformfreudig wie immer die Gelegenheit beim Schopf, indem er seinen Hofbaumeister Johann Georg Judas anwies, der Bischofskirche das Siegel barocker Baugestalt aufzudrücken. Das Domkapitel durfte außer Acht bleiben, es hatte von vornherein jede Beteiligung an den Kosten verweigert. Den kurtrierischen Landständen indessen rang Franz Ludwig eine Sondersteuer ab.

Der Trierer Dom von Norden
Der Trierer Dom von Norden

Von Geak Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Link

Der in Personalunion als Bauunternehmer fungierende Judas leistete daraufhin ab 1719 gründliche Arbeit. Den spätrömischen Quadratbau, bis dahin das Zentrum der gesamten Kirchenanlage, funktionierte er in ein Querhaus um. Der Hofbaumeister ließ dazu die vier Eckjoche auf die Hälfte ihrer 30 Meter Höhe abtragen. Hingegen dienten die mittleren Joche seinem Ansinnen, einen Riegel vor den Ostchor zu schieben und eine Vierung zu schaffen. Deren Flügeljoche erhielten nun ausweislich der kurtrierischen Hofkammerprotokolle von 1719 „zwey große Creutz gewoelber zu beiden seithen des Kirchenschiffs“, glichen sich mithin der gotischen Wölbung des Langhauses völlig an. Außen setzte der Hofbaumeister den Schmalseiten seines Querhauses von weit her zu erblickende Dreiecksgiebel auf. Freilich zeigten sich die Außenjoche des Quadratbaus zu Nebenschiffbestandteilen degradiert. Einmal im Zug, glich ihnen Judas nach Westen hin überdies die Fassaden der romanischen Seitenschiffe an. Ihre Emporen riss er ab, die Triforien hinterfing er mit den Seitenschiffgewölben aufgesetzten schmalen Lichtgalerien, unter statischem Betracht nach von Engelbergs Urteil eine „konstruktive Hasard-Lösung“. Dies, wie ferner die Zusammenfassung der beiden Fensterbahnen des Ostchores, diente der in den Hofkammerprotokollen des Jahres 1719 erklärten Absicht „zur gewinnung Eines mehreren Undt Vollkommenen Lichts“. Dem nur scheinbar widersprechend – weil der Grundintention kaum hinderlich – verkleinerte Judas die römischen und romanischen Fensteröffnungen. Sicher auch aus statischen Gründen. Der Hofbaumeister war kein kompletter Hasardeur. Am Ende hatte er, als 1723 der Gottesdienst in der Kathedrale wiederaufgenommen wurde, dem Lang- sowie dem nunmehrigen Querhaus der Trierer Bischofskirche die äußere Erscheinung einer barocken Kreuzbasilika verliehen, folglich den Bau wesentlich neu definiert.

Trierer Dom. Querhausfassade von Norden

By Kleon3 eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Link

Franz Georg übrigens durfte den Gottesdiensten auch künftig nicht vorstehen, er besaß lediglich die Weihe zum Subdiakon. Seines Baumeisters Verdienst um die Durchlichtung der Kathedrale ist am Tag. Um hohen Preis. Der architektonische Rang seiner Neudefinition muss umstritten bleiben. Galt bis vor wenigen Jahrzehnten Johann Georg Judas schon seines beruflichen Herkommens als Zimmermann wegen nicht als vollgültiger Baukünstler, so werden ihm gegenwärtig entscheidende Impulse für den Trierer Barock zuerkannt. Hervorzuheben sei vor allem seine Schonung und gar Integration bestehender Bausubstanz. Das Innere des Trierer Doms in Licht zu tauchen, habe auf die Sichtbarmachung des Bestehenden gezielt. Wirklich mögen die Mitgeborenen es so empfunden haben. Was Schonung und Integration in diesem Kontext bedeuten, ist durchaus zeitabhängig. Dennoch sind Einwände angebracht. Jedenfalls müssten sich die Außenwände in ihrer Nüchternheit in vollendeten Proportionen präsentieren. Doch zeigt sich deren Fassadenabwicklung mindestens ebenso wenig inspiriert wie die neu entstandene Vierung. Weder kann aus heutiger Sicht von Schonung die Rede sein, noch von Integration. In beide übten sich französische Barockarchitekten durch den kontrastierenden Umgang mit den Kirchenbauten des Mittelalters ein. Hingegen sannen ihre italienischen Kollegen auf Überformung. Mochte der kurtrierische Hofbaumeister nach dem Ersteren streben, er bewirkte dennoch den italienischen Effekt. Seinen Kollegen aus Romanik und spätrömischer Zeit auf Augenhöhe begegnen kann er nicht.  

Engelberg, Meinrad v.: „Renovatio ecclesiae“. Die Barockisierung mittelalterlicher Kirchen. Petersberg 2005.
Fachbach, Johannes: Johann Georg Judas. Zur Architektur eines geistlichen Fürstentums an Rhein und Mosel im späten 17. Und frühen 18. Jahrhundert. Regensburg 2013.
Ronig, Franz (Hrsg.): Der Trierer Dom. Neuss 1980.