Kabarett und Revue

Traugott Müller (1895-1944), Bühnenbildentwurf zur Uraufführung von „Neues vom Tage“
Traugott Müller (1895-1944), Bühnenbildentwurf zur Uraufführung von „Neues vom Tage“

Paul Hindemiths Oper „Neues vom Tage“ – Folge 2

Scheinheiligkeit und Doppelmoral des antiquierten Eherechts im Mix mit der Sensationslust von Publikum und Medien ließen Librettist Marcellus Schiffer zur Höchstform auflaufen. Der prominente Kabarett-Texter trieb die Opernhandlung durch Sketche wie aus seinem angestammten Metier voran. So greift im ersten Bild der Ehezwist im Haus M. auf das darob seine Scheidung in die Wege leitende Ehepaar Laura und Eduard über. Kabarettreif mutiert Eduard im vierten Bild angesichts des von ihm selbst engagierten professionellen Scheidungsgrundes zum Berserker. Kleinkünstlerischer Höhepunkt ist das den zweiten Teil der Oper eröffnende fünfte Bild, worin Laura in einer Hotelbadewanne arios brillierend die Vorzüge moderner Warmwasserversorgung rühmt. Freilich hätte im Kabarett an dieser Stelle ein freches Chanson auf dem Programm gestanden.

Über die Kleinkunst hinaus hatte Schiffer gemeinsam mit dem Komponisten Mischa Spoliansky aus der Kombination von Kabarett- und Revueelementen eine neue Gattung des zeitgeistigen musikalischen Unterhaltungstheaters kreiert. Zwar firmierte sie mangels tauglicher Bezeichnung unter „Revue“, tatsächlich aber lief sie auf einen deutschen Spross des Musicals hinaus. Die Uraufführung von „Es liegt in der Luft“ Mitte Mai 1928 in der Berliner Komödie am Kurfürstendamm bedeutete den Durchbruch für das neue Genre. Schiffers Frau Margo Lion und Marlene Dietrich sorgten darin mit dem anzüglichen Showstopper „Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin“ für Furore.

Die Revue mischt sich schon durch den häufigen Schauplatzwechsel in das Geschehen der Hindemith-Oper. Lässt sich im dritten und achten Bild der „schöne“ Herr Hermann von den Schreibmaschinenfräuleins seines „Instituts für Eheangelegenheiten“ umschwärmen, so zeigt sich der Auftritt des männlichen, vom Damenchor angehimmelten Revuestars ins prosaische Großraumbüro verlegt. Die letzten drei Bilder führen ins legendäre Pariser „Alcazar“, dem Inbegriff eines Revuetheaters. Die Regieanweisung für das vorletzte Bild sieht zur dort erklingenden Tanzmusik gar wahlweise den Einsatz des Balletts oder Varieténummern vor. Worauf sich Laura und Eduard beim Bühnenpublikum mit einem munteren Couplet einführen, ehe sie -als ihres Auftritts Klimax – ihren Ehezwist zum Besten geben. Doch wie sehr auch die Dramaturgie der Oper auf Kabarett und Revue fußt, sie erweist sich als erstaunlich konsistent. Paradoxer Weise, aber gewiss, eben der mit den Unterhaltungsgenres verbundenen Lockerheit und Flexibilität halber.

Banalität bis zum immerhin fröhlichen Abwinken durchzieht die Sprache der Oper. Munter mischt Schiffer Alltagsstereotype aller Art: abgegriffene Floskeln im Ehezwist, Behördenjargon auf dem Standesamt, den Ton geschäftlicher Korrespondenz im „Büro für Familienangelegenheiten“, bildungsbeflissenes Gewäsch aus dem Reiseführer im Museum, nicht zuletzt die mediale Marktschreierei der Gazetten und Vertreter der Unterhaltungsindustrie. Der lyrische Hochton des vermeintlichen Liebesduetts, das Laura mit dem professionellen Scheidungsgrund abspult, besteht aus nichts denn vorgefertigten, bis zum Überdruss wiederholten semantisch und emotional leerlaufenden Gemeinplätzen. Schiffer stellt die Uniformität von Sprache, genauer Sprache als Uniform aus. Freilich der eines Popanz‘.