Gut durchlüftet

Pietro Longhi, Die Ohnmacht (National Gallery of Art, Washington D. C.)
Pietro Longhi, Die Ohnmacht (National Gallery of Art, Washington D. C.)

Zum künftigen Umgang mit der Covid-19-Lage

Ob es sich um die >zweite Welle< handelt oder nicht, lasse ich dahingestellt, doch nehmen die Covid-19-Fälle erneut bedenklich zu. Stumm sind inzwischen selbst die durch und durch verstimmten Posaunen religiöser Fundamentalisten, die vor Zeiten schiefe Töne von der vermeintlich göttlichen Schickung des Virus als Prüfung oder gar Strafgericht anschlugen.

Gott im Prüfer- oder gar Richteramt erweist sich in einer säkularisierten Welt als allenfalls sektentauglich. Ich fürchte aber, dass wir ohne heilsame Fiktion der Covid-19-Bredouille nicht entrinnen werden. Gut möglich, wir sollten uns von der Evolution ins Examen genommen empfinden. Zwar prüft und richtet auch diese nicht. Da es aber ums Überleben geht, kann dieses Placebo wünschbare und aussichtsreiche Dienste leisten.

Wir befinden uns vor lösbaren Aufgaben. Es bedarf der Einhaltung von nur wenigen Regeln, um der Pandemie die Stoßkraft zu nehmen. Hygiene und Distanz sind Schlüsselbegriffe. Freilich weder mit dem Ziel der Andressur eines Waschzwangs noch der Leugnung unserer Menschennatur als gesellschaftliches Wesen. Vielmehr sind wir gehalten, unserer Geselligkeit neue Wege zu bahnen.

Wenn Darwin der Art mit der höchsten Anpassungsfähigkeit die besten Optionen aufs Überleben zuspricht, so will immerhin definiert sein, was Anpassung überhaupt meint Hinsichtlich des Menschen darf sie keinesfalls Unterordnung unter das Virus durch schwedisches laissez-faire oder chinesische Medizindiktatur bedeuten. Anpassung zielt vielmehr auf souveränen Umgang mit der Gefahr. Was auch heißen kann, den Spieß umzukehren.

Mit aller Vorsicht riskiere ich ein Beispiel: Wenn die aus Operationssälen bekannte Lüftungstechnik tatsächlich dazu taugt, Ansteckungen vermeiden zu helfen und sich der Transfer in Flugzeuge bewährt, so rufen die Stätten geselligen Versammelns von Gasthäusern über unsere Schulen, Parlamente, Sport- und Schwimmhallen bis hin zu den Konzerthäusern und Theatern nach entsprechender Zurüstung. Nach Maßgabe dessen dürften diese Einrichtungen Orte des gesellschaftlichen Lebens bleiben. Das damit einhergehende Investitionsprogramm würde sich dazu eignen, die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen.

Dazu braucht es Jahre. Die Zwischenzeit wird unter den Bedingungen von Distanz und Maske neue Formate gesellschaftlichen und kulturellen Umgangs herausbilden, die sich gewiss aufs Danach auswirken.

Ich will mich auf das lüftungstechnische Beispiel nicht versteifen. Fest aber steht, dass Krisis ein ursprünglich medizinischer Begriff ist, jener Punkt, auf dem sich entscheidet, ob der Patient leben oder sterben wird. Diese wortwörtliche Bedeutung ernstnehmen, verhilft womöglich zur Souveränität über die Pandemie. Jedenfalls schadet die Zufuhr ebenso frischer wie reiner Luft weder unseren Leibern noch Gemütern. Sie bewahrt vor Ohnmacht.   

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