
BVerfG Sitzungssaal: Wo st 01 zugeschnitten, Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE
Auf dem Weg zum sozialverträglichen Ableben
Ich schrieb die nachstehende Szene, als ich las, in den Niederlanden – wo kommerzielle Sterbehilfe seit Jahr und Tag erlaubt ist – verstärke sich der Druck des sozialen Umfelds auf kranke Menschen, ihrem Leben durch darauf spezialisierte Ärzte ein Ende setzen zu lassen. Der Transfer der niederländischen Verhältnisse nach Deutschland schien mir nur eine Frage der Zeit. Das die Werbung für kommerzielle Sterbehilfe hierzulande billigende Urteil des Bundesverfassungsgerichts veranlasst mich nun zur Veröffentlichung des Ausschnitts aus dem noch unfertigen Stück.
I, 6
(Ein Schlafzimmer.)
DER KRANKE LUDWIG: Ich warte. Ich erwarte. Den Arzt. Der mich vom Leben heilt. Der Tod ist mir ersehnt. Ich will sterben. Der Arzt wird helfen. Die Kasse zahlt. Zu beiderseitigem Vorteil. Koste ich doch erheblichst. Bald nicht mehr. Ich entschied aus freien Stücken. Freundin und Freund zeigten den Weg. Ich rechtete mit meinem Elend. Sie wiesen die Klage ab. In aller Freundschaft.
DER FREUND: Jammere nicht, da du freiwillig und keineswegs alternativlos leidest.
DER KRANKE LUDWIG: Die Freundesrede öffnete mir die Augen. Ich entschloss mich zum Ende. Dankbar für aufrichtigen Rat, vereinbarte ich den Arzttermin. Nun aber, da es ans Sterben geht, empfinde ich des Lebens Schönheit wie ich sie selten fühlte. Ein wenig Aufschub wäre mir willkommen.
DER FREUND: Was ist das für eine Mitmenschlichkeit , die Krankheit streckt und Leiden verlängert!
DIE FREUNDIN: Welche Freundschaft bürdet Freundinnen solche Last auf?
DER FREUND: Freundinnen und Freunden.
DIE FREUNDIN: Freundenden?
DER FREUND: Befreundeten.
DIE FREUNDIN: Gerade heikle Fälle bedürfen einer korrekten Terminologie.
DER FREUND: (Zum kranken Ludwig.) Darfst du unser Bremsklotz sein?
DIE FREUNDIN: Verstehe mich recht. Es geht mir um dich allein.
DER FREUND: Lebenszeit ist wertvoll. Leiden verschwendet Lebenszeit. Wer krank ist und leidet wie du, hat seine Lebenszeit verbraucht. Längst zehrst du von der deinen Nächsten. Wir haben das bis in die kleinste Einzelheit erörtert. Wir suchten nach einem Arzt mit hervorragenden Bewertungen. Den wir fanden, wirkt nicht nur sympathisch in seiner Werbung, sondern auch im Gespräch. Tage und Stunden sind dafür draufgegangen.
DER KRANKE LUDWIG: Wer wollte widersprechen? Doch dieser Apfel hier. (Beißt hinein.) Noch kann ich ihn genießen. Das Bild an der Wand. Noch laben meine Augen sich daran.
DER FREUND: Du möchtest gewiss dich auch unserer noch erfreuen. Doch sage ich, der Mensch ist endlich. Nicht minder unsere Geduld.
DIE FREUNDIN: Wenn aber der dauernd Kranke aller Qual zutrotz sein Leben fortsetzen mag, lindern dann nicht Medikamente seine Schmerzen?
DER FREUND: Zu langwierig. Zu teuer. Das Freundschaftskapital ist aufgebraucht.
DIE FREUNDIN: Steht nicht die Gesellschaft in der Pflicht, Leben zu erhalten?
DER FREUND: Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Langzeitkranken gebietet schon die Bürgertugend, sich den Mitmenschen zu ersparen.
DIE FREUNDIN: Du predigst zu streng.
DER FREUND: Halbgare, du. Komplizin unganzer Sachen. Du scheust die in solcher Lage einzig wahre Fürsorge . Neuerlich und mit stärkerem Nachdruck dem Freund zu sagen: >Längst ist es Zeit. Du bist überfällig. Nun gehe hin in Frieden.<
DIE FREUNDIN: Ich begreife. Dem Nahen und Nächsten Tod zu raten, ist der größte aller Liebesdienste. Denn ich schade mir selbst. Ich verliere. In diesem Fall einen Freund.
DER FREUND: Nicht anders.
DER KRANKE LUDWIG: Ich falle zur Last. Wie darf ich die Freundinnen und Freunde, alle die Freundenden und Befreundeten mit meiner Hinfälligkeit behelligen. Mit dem Jammer meines Körpers und meiner Worte. Ich Parasit mäste mich an der Langmut der Wohlmeinenden. Der Bestmeinenden. Mir graut vor mir. Doch erstarke ich an den Nächsten. Der Tod wird sie mir erhalten. Lebe ich jetzt ab, werden sie an meinem Grab stehen und den Verlust empfinden. Zaudere ich, wird meine Trauerfeier zur bloßen Pflichtübung. Jetzt bin ich übermäßige Bürde. Die Leiche aber wird leicht wiegen. Mich verlangt nach dem Sterbeassistenten.
SCHÖNTOD: Bin zur Stelle.
DIE FREUNDIN: Sie sind amtlich befugt?
SCHÖNTOD: Hier das Dokument.
DER FREUND: Sehr schön.
SCHÖNTOD: Die Lizenz zu töten.
DER FREUND: Auch die zu …?
SCHÖNTOD: Versteht sich. Sobald ich den Totenschein unterzeichnet habe, veranlasse ich die Auszahlung der Freundschaftsprämie. Jedem das Seine.
DIE FREUNDIN: Jeder das Ihre.
SCHÖNTOD: Gewiss.
DER KRANKE LUDWIG: Habt Dank, Ihr Lieben. Ich darf euch noch im Tod nützen.
SCHÖNTOD: Das höre ich oft. Immer aber vernehme ich es gern.
DER KRANKE LUDWIG: Reicht mir zum Abschied noch einmal die Hände.
DER FREUND: Good bye.
DIE FREUNDIN: Good bye.
DER KRANKE LUDWIG: Schön war das Leben, doch nun geht’s zu Ende.
DER FREUND: Good bye.
DIE FREUNDIN: Good bye.
SCHÖNTOD: Good bye. (Zieht eine Spritze auf. Zu Freund und Freundin.) Sie denken daran, mich gut zu bewerten.
Der Link zum Bundesverfassungsgericht und seinem Urteil: