E. T. A. Hoffmann – Erste Anmerkung

© Staatsbibliothek Bamberg, Gerald Raab
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Biographismus und Autofiktion

Daran, dass die Rezeption von Kunst oft über das Leben ihrer Schöpfer erfolgt, hat sich seit dem klassischen Altertum nichts geändert. Personalisierung ist halt griffiger als der ästhetische Diskurs. Immer wieder verkehren sich gar die Vorzeichen. Das Werk verschwindet dann hinter der Lebensgeschichte des Künstlers. Vor die Bildwerke des Renaissanceskulpteurs Benvenuto Cellini schob sich einst Goethes Lebensbeschreibung desselben. Gelegentlich vermag noch Hector Berlioz‘ den Namen Cellinis im Titel führende Oper für die Fährnisse des Künstlerabenteurers einzunehmen. Während die biographische Aufmerksamkeit in der Antike vor allem bildenden Künstlern galt, zählt Vergil zu den wenigen Poeten, deren Leben vergleichbare Beachtung fand. Neuzeitlich scheint Tasso einer der frühesten Dichter zu sein, deren privates und berufliches Los öffentliches Aufsehen erregte. Für die deutsche Literaturgeschichte ist die nahtlose Übertragung der Dichtungen Goethes auf ihren Urheber bis hin zum Kitsch der Fall. Die Liebe zur Elsässer Pfarrerstochter Friederike Brion wurde in Wort und Bild mit klebrigster Sentimentalität überzuckert. Goethe selbst hat in „Dichtung und Wahrheit“ die Geschichte seiner Jugendjahre in Richtung auf den poetischen Gehalt seines Lebens stilisiert.

Mag sein, jene Literaten, die zu den Hauptvertretern des gegenwärtigen Hangs zur „Autofiktion“ zählen, würden für ihre Texte den Begriff „Dichtung“ ablehnen, doch leistete Goethe für die Textsorte Entscheidendes. Freilich braucht es dazu ein an Erzählenswertem reiches Leben wie das Seine. In Annie Ernaux‘ 2016 erschienenen „Erinnerung eines Mädchens“ stehen eminente literarische Gabe und Dürftigkeit des Geschehens und der Personage in klarem Missverhältnis. Ernaux schildert, wie sich die in einem Ferienlager beschäftige, ihren Vornamen mit dem der Autorin teilende Titelfigur dem gelegentlich seine Sexualität an ihr abreagierenden Chefbetreuer ausliefert. Gewiss können Grausamkeit und Banalität literarisch ergiebige Schnittmengen eingehen. Doch ermüden die Figuren in diesem Text der Nobelpreisträgerin von 2022 durch Eindimensionalität. Wenig begreiflich daher, wie die Begebnisse das Leben der Autorin bis zur Abfassung des Manuskripts ein halbes Jahrhundert hindurch geprägt haben sollen.

Wie auch immer, der Begriff „Autofiktion“ scheint zahlreiche Werke E. T. A. Hoffmanns zu meinen. Ohnehin tritt nicht erst seit Offenbachs „Les contes d’Hoffmann“ das Werk hinter die Biographie des Dichters zurück. Noch bei Lebzeiten war die Rede vom „Gespenster-Hoffmann“ und von dessen Bizarrerien. Nicht zuletzt auch von den Zechgelagen bei „Lutter und Wegener“ in Berlin. Hoffmann tat nicht wenig, um die biographische Anwesenheit des Dichters im Werk zu unterstreichen. Die „Kreisleriana“ gehen wesentlich aus Hoffmanns Lebensgeschichte hervor. Das Musikdirektorenamt, die Entlassung daraus, die Tätigkeit als Theatermaschinist, Klavier-, Violin- und Gesangslehrer sowie Musikschriftsteller, alles dies ist biographisch nachprüfbar. So bedürfte es denn weder eines Hinweises auf jene Figuren in des Autors Erzählungen, die den Vornamen Theodor führen, noch der Erwähnung der „Serapionsbrüder“ als Orden mit Angehörigen aus Fleisch und Blut, um weitere Belege beizubringen. Dennoch will Hoffmanns kolorierte Karikatur „Der Kapellmeister Johannes Kreisler in Haustracht nach dem Leben gezeichnet von Erasmus Spilker“ betrachtet sein. Nicht genug damit, dass hier die Zentralfigur aus des Dichters „Die Geschichte vom verlornen Spiegelbilde“ jene der „Kreisleriana“ porträtiert haben will, Kreisler sind unverkennbar Hoffmanns Gestalt und Gesichtszüge eingeschrieben. Zu allem Überfluss prangt auf dem Klavier sein musikalisches opus summum, die Partitur der „Undine“. Die Karikatur unterstreicht eben jenes Bizarre und Groteske, das sich mit der Person Hoffmanns und seiner Dichtung immer wieder verbindet und flicht umstandslos Biographisches und Poetisches in eines. Literarisch wie zeichnerisch erweist sich Hoffmann als früher Vertreter der Tendenz zur Autofiktion.