Despotie in Braun und Rot

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Bautzen (Budysǐn)

Die Spree über die Friedensbrücke querend, kamen Kindheitserinnerungen auf. Nicht, dass ich zuvor je die Hauptstadt der Oberlausitz und der Sorben besucht hatte, aber die Abbildung der vom Flussufer siebengeschossig aufragenden >Alten Wasserkunst< in einem Buch aus den elterlichen Regalen, hatte sich den Mittelalterphantasien des Kindes eingeprägt, um sich Belagerungswerke und Sturmleitern an dem Turm erproben zu lassen. Von der frühneuzeitlichen Kombination aus Ingenieurarchitektur und Verteidigungsanlage hatte es nichts gewusst. Lage, Höhe, Massivität und konische Form hatten genügt, um den Knaben zu beeindrucken.

Wir quartierten uns in einer zu Anfang des letzten Jahrhunderts in Nachbarschaft des damals errichteten Justizpalastes projektierten Vorstadt für gehobene Wohnansprüche ein. In der zum Hotel umgebauten Villa hatte während der ersten Nachkriegsjahre der Pianist Artur Immisch gelebt. Immisch war 1936 als Dozent an der Orchesterakademie der Dresdner Sächsischen Staatskapelle entlassen worden, weil er sich geweigert hatte, der NSDAP beizutreten. Er zog sich daraufhin in seine Geburtsstadt Bautzen zurück.

Uns war klar, nahe dem berüchtigten Zuchthaus für die politischen Gefangenen der DDR-Staatssicherheit zu logieren. Der spätere Kerker zweier Despotien hatte ursprünglich – wie in seiner Erbauungszeit üblich hinter dem Gerichtsgebäude platziert – der königlich sächsischen Justiz zu dem gedient, was seinerzeit unter humanem Strafvollzug begriffen wurde. Nicht anders während der Weimarer Republik.

Die braune Bande begann hier Regimegegner einzukerkern. Anlässlich eines internationalen Kongresses von Experten für den Strafvollzug in Dresden fingierten 1935 die Nazis eine Musteranstalt mit fotografisch vorzeigbaren adretten Häftlingen im sportlichen Freizeitdress, sich bei gymnastischen Übungen ertüchtigend. Andere Fotos zeigen Krankenstuben mit bequemen Großvaterstühlen. Gerne hätte ich gewusst, ob die Kongressteilnehmer nur Bildmaterial zu Gesicht bekamen, oder ob sie eine Exkursion nach hier geführt hat. Für den Kommunistenführer Ernst Thälmann war Bautzen die letzte Station vor seiner Ermordung in Buchenwald.

Die Sowjets nutzten Bautzen als >Speziallager<, in dem auch Hitlerjungen landen konnten, wenn sie verdächtigt wurden, sich den Werwölfen angeschlossen zu haben. Aus Furcht vor tatsächlichen oder vermeintlichen Anschlagsplänen und Attentaten unterwarfen die Besatzer die inhaftierten Jugendlichen ihrer bedenkenlosen Ergebnisjustiz.

Seit 1956 war Bautzen Geheimgefängnis der Staatssicherheit. Wie bei der braunen Brut, die ihn wegen >Vorbereitung zum Hochverrat< verurteilt und nach eineinhalb Jahren in Bautzen 1935 über die Grenze zur Tschecheslowakei abgeschoben hatte, saß der bekennende Sozialist,  Spanienkämpfer und geschasste Chef des  hochrenommierten Aufbau-Verlags  Walter Janka nach einem Schauprozess stalinistischer Provenienz in Anwesenheit der DDR-Justizministerin Hilde Benjamin von 1956 bis 1960 erneut hier ein. Schon die Anklage glich einem Déjà-vu, nur die Terminologie hatte gewechselt. Janka sah sich nun mit dem Vorwurf konterrevolutionärer >Boykotthetze< konfrontiert. Nicht anders als unter den Nazis musste sich Janka bei Haftantritt der demütigenden Schädelrasur unterziehen. Seine Zelle blieb ungeheizt. Von 1957 bis 1964 saß der ebenso präzise beobachtende wie die  herrschenden Verhältnisse ironisierende Romancier Erich Loest ohne Papier und Stift ein.

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Jene, die im engmaschigen Netz des staatssicherheitlichen Spitzelsystems hängen geblieben oder wegen >Republikflucht< verurteilt  waren, teilten die Haftbedingungen der in Ungnade gefallenen Intellektuellen. Allesamt lieferte sie das DDR-Willkürregime dem Sadismus der Bewacher rücksichtslos aus. Wen verschärfte Haft in die dafür reservierten Arrestzellen zwang, sah selbst die Verrichtung der Notdurft im Belieben der Gefängniswärter. Die Delinquenten fanden die Toilettenschüssel innerhalb der Zelle in einen weiteren Käfig eingebaut und durch eine Gittertür versperrt. Hingegen öffnete die Schlüsselgewalt den niederen Instinkten des Aufsichtspersonals Tür und Tor.

Diese Zeiten sind vorbei. Doch ist die Demokratie eine fragile Angelegenheit. Und wird es immerfort bleiben. Die voll ausgeprägte Volksherrschaft im klassischen Athen währte gerade einmal anderthalb Jahrhunderte. Die Weimarer Republik keine anderthalb Jahrzehnte. Die Umwidmung des Kerkers zur Gedenkstätte, darin waren wir uns beim Verlassen des bedrückenden Ortes einig, wird zum bloßen Alibi missraten, wenn uns genügt, voller Abscheu auf Nazis und Vertreter des DDR-Unrechtsregimes zu zeigen. Die siebzigjährige Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik kann bei nachlassender Anteilnahme und schwindendem Einsatz   Dauerhaftigkeit nicht verbürgen. Demokratie braucht Loyalität ebenso wie Duldsamkeit und Güte, sie muss sich wach und darf sich wehrhaft zeigen.

Fortsetzung folgt.

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